Arnstadt & Ilmenau | 7. Dezember 2021
Dr. med. Christian Scholz, unser Oberarzt der Intensivmedizin behandelt seit Beginn der Pandemie auf der Intensivstation gemeinsam mit seinen Kolleg*innen Menschen mit schweren Coronaverläufen. Er beschreibt, was er in den letzten Wochen und Monaten immer wieder erlebt hat, nämlich zu was Virus in der Lage ist…
Das Virus befällt dich, ohne dass du es merkst. Von Nachbarn, Freunden, aus der Familie, von fremden Menschen - irgendwie erreicht es dich, findet den Weg in deine Lunge. Dort breitet es sich aus, dringt in die Zwischenwände der Lungenbläschen ein und löst eine Entzündung aus. Unser Körper kann nichts anderes. Vielleicht hast du Husten oder Schnupfen, ein wenig Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Eine Grippe eben. Doch diese „Grippe“ ist anders. Deine Lunge schickt alles los, was zur Abwehr da ist, alle Zellen wandern aus den Kapillaren ins Gewebe ein, und zerstören es, Antikörper werden gebildet und ausgesandt. Es entsteht Narbengewebe, erst vereinzelte, kleine Flecken. Sie finden sich zu immer größeren Inseln zusammen. Es steht weniger Lungengewebe für die Versorgung deines Körpers zur Verfügung. Die Folge: der Sauerstoffgehalt in deinem Blut sinkt langsam ab. Davon merkst du nicht viel , ein wenig Kurzatmigkeit, die Treppe fällt dir schwerer, die Warnfarbe Blau haben deine Lippen, deine Haut noch nicht angenommen. Deine roten Blutkörperchen saugen jetzt allen Sauerstoff aus der Blutflüssigkeit, den sie finden können. Würdest du jetzt einen Messfühler an den Finger machen, war der Wert vielleicht noch akzeptabel: 96%, vielleicht 94. Allerdings wird die Sauerstoffmenge im Blut schnell immer weniger. Dein Körper versucht nun mit mehr Atmung an Sauerstoff zu kommen, deine Atemfrequenz wird schneller. Du musst dich dabei nicht sehr anstrengen, denn deine Lunge lässt sich noch leicht mit Luft füllen, sie nimmt nur eben den Sauerstoff nicht auf. Schließlich enthält dein Blut so wenig Sauerstoff, dass auch Lippen und Haut blau gefärbt werden. Du kannst dich nicht mehr belasten, der Weg zum Bad gleicht einem steilen Wanderweg, und du denkst vielleicht: ich muss wohl doch ins Krankenhaus.
Dort angekommen zeigen sich im Schnelltest zwei rote Balken: einer für das Virus, einer für die Kontrolle, du bist „positiv“. Du bekommst einen Fühler an den Finger und siehst erschrockene Gesichter: dein Blut enthält so wenig Sauerstoff, dass die Sättigung nur noch bei 80% oder weniger liegt, sofort wird Sauerstoff über eine Maske verabreicht. Den Sauerstoff wirst du nicht mehr los, denn Corona hat deine Lunge schwer geschädigt. Im Computertomografen sehen die Ärzte ein Lungengewebe, das aussieht wie ein Schlachtfeld: überall Entzündungsareale. Noch kannst du tief einatmen, aber die Atmung ist schnell, das strengt an, den Lufthunger kannst du nicht mehr stillen. Der Sauerstoffgehalt im Blut lässt sich schließlich nicht mehr mit Masken und ihren gigantischen Flussraten an Sauerstoff erhöhen, die maschinelle Beatmung wird notwendig. Zuerst bekommst du eine Maske fest aufs Gesicht gepresst, an die ein Beatmungsgerät angeschlossen wird, damit kann man die Lunge entlasten, um Zeit zu gewinnen. Zeit für deine Lunge, sich zu erholen, die Entzündungsgebiete abzubauen und zurück zum normalen Lungengewebe zu finden. Das dauert normalerweise Tage bis Wochen oder sogar Monate. Und diese Zeit hast du nicht mehr. Es wird versucht, dich mitsamt Maskenbeatmung auf den Bauch zu legen, dadurch verteilen sich Flüssigkeit, Blut und Entzündung anders, deine Lunge kann so besser den Sauerstoff ins Blut übertragen, das geht ein paar Tage gut. Dann ist eine normale Rückenlage mitsamt Beatmung so nicht mehr möglich, es muss ein Beatmungsschlauch in die Luftröhre eingelegt werden. Du warst bis jetzt wach und ansprechbar und konntest dich vielleicht auch verständlich machen, jetzt brauchst du eine Narkose. Nicht für ein paar Stunden wie bei einer langen Operation, sondern für Tage. Oder Wochen. Wenn dein Körper durchhält.
Mit dem Beatmungsschlauch kann jetzt mit viel Druck die entzündete, durch Narbengewebe, Zellen und Flüssigkeit steifer gewordene Lunge geweitet werden, um so ein paar Gebiete, die verschlossen, aber noch zu eröffnen sind, für die Sauerstoffaufnahme zur Verfügung zu stellen. Du wirst wieder auf den Bauch gelegt, 16, 18 Stunden geht das so, dann wieder zurück. Du merkst nicht, wie anstrengend das für die Schwestern ist, du siehst ihre Erschöpfung nicht, siehst den Schweiß und die Hoffnung nicht herabfließen, bis die Sachen völlig durchtränkt sind, nicht ihre Wut, die nah ist an Resignation. Für ein paar Tage kann die Lunge tatsächlich mehr Sauerstoff ins Blut transportieren. Danach wirken auch Narkose mit maschineller, aggressiver Beatmung in Bauchlagerung nicht mehr, der Sauerstoffgehalt nimmt wieder ab. Deine Organe bekommen immer weniger davon zur Verfügung gestellt, deine Nieren arbeiten schlechter und brauchen Medikamente, dein Herz schlägt schwächer und muss unterstützt werden, deine Leberwerte zeigen einen zunehmenden Schaden an. Es gibt einfach keinen ausreichenden Sauerstoff mehr in deinem Körper. Schwestern und Ärzte fragen sich längst, ob sie jetzt noch das Leben verlängern oder das Sterben. Worte dafür braucht es keine mehr.
Die letzte Hoffnung ist die Extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO genannt. Was kann sie? Das Virus bekämpfen? Die Entzündung der Lunge rückgängig machen? Das Organversagen verhindern? Nein. Kann sie nicht. Sie kann nur eins: noch mehr Zeit verschaffen, damit sich die Lunge von alleine erholt. Dafür wird eine andere Maschine an Kanülen angeschlossen, die in deinen großen Blutgefäßen liegen, deine Blutgerinnung wird reduziert, damit sich keine Gerinnsel bilden. Alles, damit dein Herz, deine Nieren, deine Leber die Chance haben, sich vielleicht doch zu erholen. Was mit deinem Gehirn passiert, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand, du bist ja immer noch in Narkose. Vielleicht nutzt deine Lunge diese Zeit. Vielleicht ist die Entzündung rückläufig, ist mehr Sauerstoff im Blut. Vielleicht hast du keine Komplikationen auf diesem Weg erlitten, keinen Herzstillstand bekommen, keine Hirnblutung wegen der Gerinnungshemmung. Ob du überlebst oder eben nicht, weiß niemand.
Es gibt im Leben keine Gewissheiten und Garantien. Es gibt Risiken, Wahrscheinlichkeiten, Chancen. Du kannst nur deine Risiken reduzieren und deine Chancen fürs Überleben erhöhen. Das Virus vernichten kannst du nicht. Es gibt bislang kein Medikament, die das Virus vernichtet. Keine Meditationstechnik, keinen Kräutertee, keinen Ort, der vor dem Virus schützt. Es gibt nur einen, der das Virus bekämpfen kann: Dein eigener Körper. Er ist unvorbereitet und muss erst die Abwehrstoffe entwickeln und produzieren, die Antikörper dafür hast du noch gar nicht. Die Zellen müssen angelernt werden, gegen wen sie vorgehen sollen, sie müssen vermehrt werden und zum Virus wandern, das alles braucht Zeit, die du nicht hast. Und Chancen erhöhen? Wahrscheinlichkeiten zu deinen Gunsten wenden? Dem Körper sagen, welches Virus er bekämpfen soll? Ihn vorbereiten und trainieren, damit er mit voller Kraft zuschlagen kann, wenn das Virus, das SARSCoV2 heißt, dich befällt? Um ein Übergreifen auf die Organsysteme mit der Gefahr ihrer Vernichtung zu verhindern? Ist das eine gute Idee? Auch wenn es bedeuten kann, dass du ein wenig Fieber bekommst für einen Tag? Das kann nur eine entsprechende Impfung. Auf welchen Wegen Impfstoffe wirken, ist erforscht für Pocken, Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus und auch für dieses neue Virus. Der Impfstoff gegen die Grippeviren wird jedes Jahr neu zusammengemischt, weil sich dieses Virus so schnell verändert. SARSCoV2 ist noch schneller, noch wandlungsfähiger. Bis jetzt hilft die Impfung gegen die Varianten, die bekannt sind, auch wenn die Wissenschaft immer wieder dazulernen muss. Denke wie ein Virus. Erhöhe deine Chancen. Lass dich Impfen. Jetzt.